Willkommen in Averno City, einer Stadt so klischeehaft korrupt, dass selbst Gotham daneben wie eine Fußgängerzone in Baden-Baden wirkt. The Precinct ist ein Spiel, das unbedingt dein inneres Cop-Drama anzapfen will, mit Donuts, Helikoptern und mehr Neonlicht als auf der Bühne eines The Weeknd-Konzerts. Klingt geil? Joa. Ist es auch. Manchmal. Aber es ist eben auch eines dieser Spiele, bei dem du nie so ganz sicher bist, ob es ein liebevoll gebautes Indie-Meisterwerk oder ein leicht überambitioniertes VHS-Fiebertraumprojekt ist.

Law & (Dis)Order in The Precinct
Du schlüpfst in die Sneakers von Officer Nick Cordell Jr., einem Rookie mit Daddy-Komplex deluxe (der Alte war Supercop, jetzt ist er Supertot). Klarer Fall von: „Ich will sein wie mein Vater, aber mit mehr explodierenden Autos.“ Averno City ist deine Sandbox, nur eben nicht mit Burgen, sondern mit Einbrüchen, illegalem Straßenrennen und so ziemlich jeder Art von Kriminalität, die GTA irgendwann mal vorgemacht hat.
Was du machst? Streife fahren. Fußpatrouille. Drogenhändler jagen. Parkverstöße ahnden. Ja, wirklich. Illegales Parken ist eine der ersten Aufgaben. Klingt nach Buzzkill, ist aber erstaunlich immersiv. Zumindest beim ersten Mal. Beim zwanzigsten ist es dann eher so, als würdest du einen Excel-Simulator mit Blaulicht spielen.
Die Idee ist cool: Du bist Teil eines Systems, musst Beweise sammeln, Personen durchsuchen, per Funk Verstärkung anfordern. Nur leider lässt dich das Spiel keine Routine-Aktion skippen oder automatisieren. Und wenn du zum hundertsten Mal jemandem den Ausweis aus der Tasche fummelst, während im Hintergrund die Gangster auf dich ballern, fragst du dich irgendwann: „Bin ich Bulle oder Bürokrat?“

Fahrzeuge, Verfolgungsjagden & Fast & Furios fürs Indie-Herz
Wenn The Precinct glänzt, dann bei seinen Verfolgungsjagden. Das Fahrgefühl ist erstaunlich arcadig und griffig – du bretterst durch Neonregen, ramst Verdächtige, zündest den Turbo, wirfst Spike Strips auf den Asphalt wie Mario Kart im Polizeidienst. In solchen Momenten denkst du dir: „Jep, das ist das Spiel, das mir versprochen wurde.“
Noch besser: Du steigst später sogar in den Helikopter, um Kriminelle von oben zu jagen. Ja, wirklich. Heli-Gameplay. Es ist so absurd, dass es wieder geil ist. Genau da blitzt dieser Hotline Miami trifft Lethal Weapon-Vibe durch, den das Spiel eigentlich konstant haben möchte.
Schießereien – Bang Bang, Meh MehUnd dann gibt’s da noch das Kampfsystem, das… nun ja… da ist. Es existiert. Aber viel mehr kann man nicht sagen. Die Third-Person-Shooter-Mechanik fühlt sich träg an, das Zielen ist fiddelig wie ein kaputter PS1-Controller, und die Gegner sind meist so clever wie Toastbrot. Sie stehen einfach da, schießen zurück und hoffen wohl, dass du aus Mitleid triffst.

Es fehlt an Dynamik, an Deckungsmechanik, an irgendwas, das dir sagt: „Hey, das hier macht Spaß.“ Klar, du kannst ballern, aber du willst es meistens nicht.
Stil, Atmosphäre & Retro-Vibes
Optisch liefert The Precinct genau das, was es auf der Verpackung verspricht: Neonlichter, Regen, Tag-Nacht-Wechsel, Synthwave-Ästhetik. Es gibt Momente, da sieht Averno City so stimmungsvoll aus, dass du direkt in Zeitlupe durch die Straßen laufen willst, während im Hintergrund „Crockett’s Theme“ läuft.
Aber wehe, du schaust zu genau hin. Dann siehst du Charakterporträts, die nicht zu den 3D-Modellen passen, schwebende Polizeimarken und Animationen, bei denen selbst PS2-Ära-Figuren die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würden.
Immerhin: Der Soundtrack knallt. Retro-Beats, dreamy Gitarren, Saxophon in Reinform. Und ja, der gute alte Wilhelm-Scream ist auch dabei. Cheesy? Absolut. Aber das ist ja der Punkt.

Die Story will ganz klar eine Hommage an ’80s-Cop-Klischees sein – mit einem Schuss Selbstironie. Harte Kerle, noch härtere Sprüche, und ein Chef, der immer schreit, als hätte jemand seine Kaffeetasse beschlagnahmt. Mal klappt das super, mal wirkt’s einfach nur cringe. Die Audioqualität ist stellenweise unterirdisch mit Crackling, seltsamen Pausen und abrupt abbrechenden Voice Lines.
Trotzdem: Wenn man sich drauf einlässt, hat das alles seinen eigenen, leicht verrückten Charme. Wie ein B-Movie, das du eigentlich hassen willst, aber dann doch heimlich liebst.

Fazit: Mehr Donut als Dienstmarke
The Precinct ist kein perfektes Spiel. Es ist nicht mal ein besonders gutes Spiel, wenn wir ehrlich sind. Aber es hat Herz. Es will etwas anders machen. Es will Buddy-Cop-Fantasien aufleben lassen, ohne in Realismus oder Moral zu ertrinken. Und dafür hat es meinen Respekt.
Wenn du auf Indie-Games mit seltsamen Ecken, Retrostil, und einer Extraportion 80s-Camp stehst , gönn dir. Aber sei dir bewusst: Das hier ist eher „Bad Boys auf Unity“ als „True Detective mit Budget“.