Ich war ehrlich gesagt skeptisch, als Ubisoft angekündigt hat, dass das nächste Anno im alten Rom spielt. Nach der Industrie-Orgie von 1800 mit Hochöfen, Strom und riesigen Städten wirkt die Antike erstmal wie ein Rückschritt. Aber das war sie nicht. Im Gegenteil. Anno 117 fühlt sich an, als hätte die Reihe endlich wieder ihren Kern gefunden. Es ist fokussierter, ruhiger, eleganter. Und gleichzeitig größer in seiner Wirkung, ohne dich mit Mikromanagement zu erschlagen.
Man merkt sofort: Hier wurde verstanden, was die Spieler wirklich lieben. Nämlich dieses Gefühl, wenn aus ein paar Zelten langsam eine Stadt wächst, wenn du zum ersten Mal Marmor aus der Provinz holst und deine Bürger jubeln, weil die öffentlichen Bäder endlich funktionieren. Es ist dieses kleine befriedigende Kribbeln, das jedes gute Anno erzeugt. Und Pax Romana liefert davon eine Menge.
Einstieg und Struktur
Der Start in Anno 117 ist ein Musterbeispiel dafür, wie man Neulinge abholt, ohne Veteranen zu langweilen. Du beginnst als frisch ernannter Statthalter einer römischen Provinz. Du kannst dich zwischen zwei Regionen entscheiden: Latium, das sonnige Kernland mit Wein, Oliven und Marmor, oder Albion, das raue Grenzland mit Nebel, Mooren und keltischen Einflüssen. Beide Gebiete spielen sich spürbar unterschiedlich. Latium ist klassisch und vertraut, Albion experimenteller und feuchter, wortwörtlich.
Das Tutorial führt dich sanft an die Hand, erklärt Rohstoffkreisläufe, Bedürfnisse und Gebäude, aber eben ohne aufdringlich zu werden. Es fühlt sich an wie ein ruhiges Gespräch mit einem erfahrenen Mentor. Und sobald du die Basics verstanden hast, lässt dich das Spiel frei. Du planst, du baust, du verlierst dich. Genau so soll das sein.
Der erste Loop funktioniert wunderbar: Holz und Lehm besorgen, Fischerei starten, erste Bürgerhäuser errichten, dann Märkte, Brot, Kleidung. Wer noch nie ein Anno gespielt hat, versteht das Prinzip nach zwanzig Minuten. Wer aus 1800 kommt, erkennt den Rhythmus sofort, aber merkt auch, dass 117 schneller auf den Punkt kommt. Weniger Klicks, klarere Rückmeldungen, sauberere Oberfläche.

Gameplay – Stadtplanung mit göttlicher Ordnung
Anno 117 dreht sich um Balance. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch atmosphärisch. Du hast Produktionsketten, wie du sie kennst, aber diesmal greift alles feiner ineinander. Gebäude haben jetzt Einflusszonen. Ein Marktplatz versorgt Häuser nur im Radius, eine Schmiede senkt die Zufriedenheit in ihrem Umfeld. Das klingt simpel, hat aber enorme Wirkung. Du planst deine Stadt nicht mehr wie ein Schachbrett, sondern wie ein lebendiges Gebilde.
Die Bauweise ist endlich freier. Straßen dürfen diagonal verlaufen, Gebäude können in organischen Formen stehen. Deine Stadt sieht also nicht mehr aus wie Excel, sondern wie Rom. Der Unterschied ist sofort spürbar. Du läufst durch die Gassen, siehst Bürger einkaufen, Soldaten patrouillieren, Händler feilschen. Es ist immersiver, weil du die Struktur selbst gestaltest.
Richtig spannend wird’s durch die neuen Systeme. Zum Beispiel die Forschung. Statt einfach stumpf die nächste Bevölkerungsstufe zu erreichen, sammelst du Wissen in der sogenannten Entdeckungstafel. Du entscheidest, ob du deine Provinz wirtschaftlich, militärisch oder kulturell vorantreibst. Investierst du in bessere Werkzeuge oder lieber in Aquädukte, die deine Stadt schneller wachsen lassen? Das ist kein bloßer Menü-Bonus, sondern verändert tatsächlich die Spielweise.

Dazu kommt das Göttersystem. Du kannst Götter verehren, Altäre bauen und deren Einfluss auf deine Bevölkerung lenken. Mars stärkt die Armee, Ceres steigert die Ernte, Merkur hilft beim Handel. Das Ganze funktioniert über Ressourcen, Rituale und Tempel. Es ist kein Gimmick, sondern ein cleveres Mittel, um deiner Stadt Charakter zu geben.
Und natürlich darf das Militär nicht fehlen. Kämpfe sind nicht das Hauptziel, aber sie gehören dazu. Du baust Kasernen, trainierst Legionäre, belagerst feindliche Dörfer oder verteidigst Handelsrouten. Im Vergleich zu 1800 wirkt das System entschlackter. Keine hektischen Micro-Schlachten, sondern eher taktische Entscheidungen. Du planst, wo du angreifst, wie du Nachschub sicherst, und musst überlegen, ob der Sieg die Versorgung wert ist.
Das Balancing zwischen Kampf, Aufbau und Diplomatie ist grandios. Du kannst ein friedlicher Händler sein, der Wein und Töpferwaren exportiert, oder ein machtgieriger Provinzherr, der alles unterwirft. Beides funktioniert, weil das Spiel dich lässt. Es schreibt dir nicht vor, wie du zu spielen hast.
Und ja, Wirtschaftsketten. Die sind nach wie vor das Herz des Spiels. Brot, Wein, Stoffe, Marmor, Luxusgüter. Aber diesmal greifen sie flüssiger ineinander. Du siehst sofort, welche Produktionslinie überlastet ist, kannst Routen optimieren und Depots besser steuern. Es fühlt sich weniger nach Arbeit, mehr nach Planung an. Und genau das ist der Punkt.

Das Kampfsystem – Planung statt Klickgewitter
Wer bei „römische Armeen“ an hektische Strategieschlachten denkt, kann entspannt durchatmen. Anno 117 bleibt in erster Linie ein Aufbauspiel. Kämpfe gibt es, aber sie fühlen sich anders an – überlegter, taktischer, eingebettet in dein Wirtschaftssystem.
Statt einfach Einheiten aus der Kaserne zu spammen, musst du sie versorgen. Jede Legion braucht Nahrung, Ausrüstung und Moral. Wenn du den Nachschub vernachlässigst, kämpft dein Heer schwächer oder desertiert sogar. Das bringt eine neue Tiefe rein, die es in 1800 so nie gab.
Das System erinnert ein bisschen an alte Strategie-Klassiker. Du stellst Legionen auf, rüstest sie mit Ausrüstung und Kommandanten aus, positionierst sie auf der Karte und entscheidest, ob du Handelsposten, Grenzfestungen oder ganze Dörfer angreifst. Die Schlachten laufen in Echtzeit, aber mit ruhigem Tempo. Es geht nicht darum, 300 Klicks pro Minute zu schaffen, sondern darum, gut zu planen.

Auch die Umgebung spielt mit. In Albion kämpfst du im Nebel, was Sicht und Formation beeinflusst. In Latium kann extreme Hitze die Ausdauer der Truppen senken. Manche Gelände bieten Deckung, andere erschweren den Vormarsch. Das alles sorgt dafür, dass sich selbst kleine Gefechte lebendig anfühlen.
Was mir besonders gefallen hat: Kämpfe sind keine Pflicht. Du kannst sie aktiv suchen oder komplett vermeiden. Wer lieber mit Diplomatie, Handel und wirtschaftlichem Druck arbeitet, kann Kriege umgehen. Trotzdem sind sie so gestaltet, dass sie Spaß machen, wenn du dich darauf einlässt. Es ist ein System, das belohnt, aber nicht bestraft. Genau das war in 1800 nie so elegant gelöst.

Die Kampagne – Von Statthalter zum Legaten
Die Kampagne ist eine der großen Stärken von Anno 117. Sie verzichtet auf übertriebene Dramatik und erzählt lieber ruhig, glaubwürdig und mit Charakter. Du startest als junger Statthalter einer vernachlässigten römischen Provinz, irgendwo am Rand des Imperiums. Deine Aufgabe: Ordnung wiederherstellen, Wirtschaft aufbauen und das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen.
Das Spiel nimmt dich dabei Schritt für Schritt an die Hand, aber nie so, dass du dich gegängelt fühlst. Die Missionen sind abwechslungsreich aufgebaut. Mal musst du eine Handelsroute sichern, mal einen Aufstand niederschlagen oder diplomatisch zwischen rivalisierenden Fraktionen vermitteln. Dabei lernst du die Systeme des Spiels ganz natürlich kennen.

Die Story selbst entwickelt sich gemächlich, aber glaubwürdig. Du begegnest Beratern, Priestern, Militärführern und keltischen Verbündeten, die alle ihre eigene Sicht auf die Welt haben. Das wirkt lebendig, weil sie nicht einfach „gut“ oder „böse“ sind. Du lernst sie kennen, triffst Entscheidungen, verlierst Verbündete, gewinnst neue.
Auch das Writing hat sich verbessert. Wo 1800 noch in vielen Dialogen trocken war, haben die Figuren hier mehr Persönlichkeit. Deine Hauptfigur kommentiert Ereignisse, zweifelt, trifft Entscheidungen. Das wirkt fast schon rollenspielartig, aber bleibt im Ton eines klassischen Anno.

Dabei spielt sich die Kampagne auch anders, je nachdem ob du den männlichen oder weiblichen Protagonisten spielst. Die Kampagne ist mit 5 – 7 Stunden zwar etwas kurz, jedoch geht sie nach Ende nahtlos in dein Endlos Spiel über, so das ihr euch keine Sorgen um eure Städte machen müsst.
Atmosphäre und Welt – Wunderschön
Ich weiß, das klingt abgedroschen, aber Anno 117 ist wunderschön. Nicht „technisch beeindruckend“ im Sinne von Grafikbenchmark, sondern wunderschön im Detail. Wenn der Morgennebel über die keltischen Hügel zieht, Legionäre am Fluss entlang marschieren und Bauern in der Sonne ihre Felder bestellen, hat das Spiel etwas Beruhigendes.
Die Musik ist stark. Römische Flöten, sanfte Trommeln, leise Gesänge. Keine aufdringlichen Fanfaren, sondern subtile Begleitung. Die Soundkulisse trägt das Spiel perfekt. Die Bürger murmeln lateinische Brocken, Händler rufen Preise aus, Schmiede hämmern rhythmisch auf Metall. Das alles erzeugt eine Stimmung, die man kaum beschreiben kann, man fühlt sie einfach.
Auch die Fraktionen sind liebevoll gestaltet. Römer, Kelten, Nomaden, Händler aus dem Osten. Jeder hat eigene Baustile, Waren und Eigenheiten. Die Diplomatie ist verständlich, aber mit genug Tiefe, um Bedeutung zu haben. Handel, Allianzen, Fehden – du entscheidest, wie du dich positionierst.

Konsolenversion und Steuerung
Ich war ehrlich gesagt erst skeptisch, ob das auf Konsole (hier die PS5 Version) überhaupt richtig funktioniert. Anno lebt ja davon, dass man ständig irgendwo klickt, verschiebt, umbaut. Mit Maus und Tastatur geht das super, aber mit einem Controller? Ich hab mit dem Schlimmsten gerechnet. Und wurde überrascht, aber im guten Sinn.
Das Spiel fühlt sich mit Controller erstaunlich rund an. Es gibt ein großes Kreismenü, das du mit einem Knopfdruck öffnest. Da ist alles drin, was du brauchst: Gebäude bauen, Routen planen, Waren checken, Militär befehligen. Anfangs musste ich ein bisschen suchen, wo was ist, aber nach einer Stunde flutscht das so, dass man gar nicht mehr drüber nachdenkt.
Die Kamera ist auch angenehm. Mit dem linken Stick läufst du quasi durch deine Stadt, mit dem rechten schaust du dich um oder zoomst rein. Die Schultertasten kippen den Blickwinkel, damit du deine Stadt von oben oder auf Augenhöhe betrachten kannst. Und ja, es macht Spaß, einfach mal durch die Straßen zu gondeln und zu sehen, wie die Leute auf dem Markt handeln oder Legionäre am Tor Wache stehen.
Das Smart Select Ding, das sie eingebaut haben, ist richtig praktisch. Wenn du den Cursor über ein Gebäude hältst, erkennt das Spiel automatisch, zu welcher Produktionskette das gehört, und du kannst direkt sehen, was gerade läuft oder fehlt. Kein nerviges Rumgescrolle durch Menüs, einfach schnell reingucken, fertig.

Läuft auch technisch super. Auf Konsole sind die Ladezeiten kurz, die Menüs klar und lesbar, und die Performance bleibt stabil, auch wenn deine Stadt größer wird. Und ja, wer will, kann sogar Maus und Tastatur anschließen, aber ganz ehrlich, der Controller reicht völlig.
Klar, ein bisschen Eingewöhnung braucht’s schon. Wenn du viel baust oder ständig optimierst, fühlt sich die Maus präziser an. Aber das ist schnell vergessen, sobald du merkst, dass du gemütlich auf dem Sofa sitzen und trotzdem eine ganze Provinz managen kannst.
Die Konsolensteuerung funktioniert besser, als ich gedacht hätte. Es fühlt sich nicht wie ein abgespeckter Port an, sondern wie ein Spiel, das wirklich für beide Plattformen gemacht wurde. Wer also lieber mit Controller in der Hand Rom aufbauen will, kann das hier ganz entspannt tun, denn das funktioniert tatsächlich verdammt gut.
Technik und Performance – Engine wurde überarbeitet
Technisch steht das Spiel erstaunlich stabil da. Auf meinem PC lief es mit hohen Einstellungen fast durchgehend flüssig. Ladezeiten sind kurz, selbst bei großen Städten. Die Engine wurde sichtbar überarbeitet. Texturen sind schärfer, Animationen natürlicher, Licht und Schatten realistischer. Besonders beeindruckend ist die Weitsicht: Du siehst ganze Landschaften mit Straßen, Feldern, Aquädukten und arbeitenden Menschen, alles ist in Bewegung, ohne dass die Performance spürbar einbricht.

Natürlich gibt es kleine Schwächen. Ab und zu hakelt die Kamera in engen Stadtgebieten, selten ruckelt die Animation, wenn besonders viel los ist. Ein, zwei kleine Bugs in Tooltips oder Anzeigeleisten sind mir aufgefallen, aber nichts Dramatisches. Das Gesamtbild ist sauber.
Ein Highlight sind die neuen Wetter- und Tageszeiten-Effekte. Wenn Regen die Felder dunkler färbt oder die Sonne über das Forum zieht, entsteht ein Gefühl von Lebendigkeit. Selbst das Wasser sieht fantastisch aus, mit sanften Reflexionen und Wellenbewegungen, die auf Wind reagieren.
Was die Bedienung angeht: Blue Byte hat gelernt. Die Menüs sind aufgeräumt, Informationen klar. Du siehst genau, wo Ressourcen fehlen, welche Betriebe überproduzieren und wo Flaschenhälse entstehen. In 1800 musste man dafür oft durch fünf Fenster klicken. Hier bekommst du’s auf einen Blick. Das spart Zeit und Nerven.

Fazit
Anno 117 Pax Romana ist kein lauter Neuanfang, sondern ein präzises Feintuning mit Seele. Es nimmt das Beste aus 1800 -> den Detailreichtum, die Tiefe, den Reiz des Aufbauens und packt es in ein ruhigeres, geschliffeneres Konzept.
Die neuen Systeme wie Forschung, Einflusszonen und Göttermechaniken machen das Spiel moderner, ohne es zu überfrachten. Das Militär fügt sich natürlich ein, die Diplomatie hat mehr Gewicht, die Welt lebt.
Vor allem aber ist es dieses Gefühl, wenn du nach drei Stunden auf deine Stadt zoomst und siehst, wie Legionäre patrouillieren, Händler handeln und Kinder am Brunnen spielen. Es fühlt sich echt an. Greifbar. Wie ein kleines Stück Geschichte, das du selbst geformt hast.
Für Veteranen ist es ein Heimkommen. Für Einsteiger der perfekte Start. Und für alle, die dachten, Anno hätte seinen Zauber verloren, ist Pax Romana die Antwort.
