NetherWorld ist ein Spiel, das du entweder nach zehn Minuten ausschaltest oder das dich völlig einsaugt. Dazwischen gibt es nicht viel. Entwickelt wurde das Ganze von Hungry Pixel, einem kleinen Team, das offenbar beschlossen hat, sämtliche Tabus auf einen Haufen zu werfen, mit einer Flasche billigen Alk zu übergießen und das Ganze dann als pixelige Odyssee in die Gosse zu pressen.
- Absturz mit Ansage – NetherWorlds Gameplay ist so kaputt wie sein Held
- Zwischen Rotlicht und Röhrenmonitor – so sieht also die Hölle in Pixeln aus
- Dialoge aus der Gosse – wenn kaputte Figuren dir mehr geben als jede Heldenstory
- Mehr Suff als Substanz – wo NetherWorld manchmal ins Leere säuft
- Soundtrack zwischen Suff und Synth – Musik, die klebt wie billiger Rauch
- Ein Trip, der nicht jedem schmeckt – aber denen, die bleiben, viel gibt
- Fazit – zwischen Absturz und Abgrund wartet echte Persönlichkeit
Das Ergebnis ist ein 2D Action-Adventure mit Fokus auf Story, seltsame Charaktere, viel schwarzem Humor und Bosskämpfen, die sich irgendwo zwischen Kunstprojekt, Rauschzustand und tiefster Midlife-Crisis bewegen. Du spielst Medoo, eine Qualle mit Hut, deren Frau ihn verlassen hat, woraufhin er sich in Alkohol, Drogen, Sex und ziemlich viele Schlägereien stürzt. Klingt nach Chaos, ist es auch. Aber irgendwie hat NetherWorld dazwischen auch ganz schön viel zu sagen. Nur eben auf seine ganz eigene, verdammt kaputte Art.
Absturz mit Ansage – NetherWorlds Gameplay ist so kaputt wie sein Held
NetherWorld spielt sich genauso dreckig, wie es aussieht. Du steuerst Medoo durch eine Seite-an-Seite-Welt voller Neonlicht, Glibberflecken und Figuren, die wirken, als hätte man sie aus einem Fiebertraum aus schlechten Entscheidungen zusammengebastelt. Und genau das passt perfekt. Das Gameplay ist eine Mischung aus Erkunden, Dialoge führen, Gegenstände einsammeln und vor allem: Bosskämpfe. Keine klassischen Level, kein dauerndes Gegnergrinden – hier geht es Schlag auf Schleim, meist direkt gegen irgendwelche mutierten, übergroßen Freaks, die dir sofort klarmachen, dass du hier nicht der Held bist, sondern der Typ, der sich durchprügeln muss, um überhaupt am Leben zu bleiben.

Und dann hast du noch diese Minispiele. Trinkduelle, Drogenlabore, Stripclub-Absurditäten, kleine Roguelite-Dungeons, bei denen du oft gar nicht weißt, ob du gerade was Cooles freischaltest oder einfach nur deine Würde verlierst. Die Steuerung ist manchmal schwammig, das Trefferfeedback nicht immer klar, aber irgendwie passt das alles in diese Welt. Es fühlt sich nicht nach präzisem Spielsystem an, sondern nach kontrolliertem Kontrollverlust. Und das ist vielleicht genau das, was NetherWorld will.
Zwischen Rotlicht und Röhrenmonitor – so sieht also die Hölle in Pixeln aus
NetherWorld ist optisch ein einziger Fiebertraum. Keine Hochglanz-Optik, keine sauberen Linien, sondern grobkörnige Pixelgrafik, die genauso kaputt wirkt wie die Welt, die sie zeigt. Und das ist auch gut so. Alles wirkt schmutzig, klebrig, dunkel und irgendwie… organisch. Die Farben sind knallig, aber nie freundlich. Viel Neon, viel Violett, viel schleimiges Grün. Es erinnert an alte Arcade-Grafik, aber mit einem verdammt schlechten Trip dahinter. Jeder Ort, den du betrittst, hat seine eigene, seltsame Identität.
Ob es ein Bordell ist, ein düsterer Wald oder eine Bar, in der der Barkeeper aussieht wie eine explodierte Garnele – du weißt nie, was als Nächstes kommt. Und das hält dich bei der Stange. Technisch ist es solide, auch wenn manche Effekte im Kampf übertreiben. Gerade bei den Bossen kann es passieren, dass der Bildschirm so voll ist, dass du kaum noch siehst, was eigentlich Phase ist. Trotzdem bleibt das Spiel spielbar. Und vor allem wirkt es in Bewegung immer stimmig. Alles zittert, leuchtet, wabert und schreit dich an. Nicht weil es hübsch sein will, sondern weil es dich reinziehen will. Und das klappt erstaunlich gut.
Dialoge aus der Gosse – wenn kaputte Figuren dir mehr geben als jede Heldenstory
Die größte Stärke von NetherWorld liegt nicht im Kampfsystem, nicht im Leveldesign und auch nicht in den Minispielen. Sie liegt in den Gesprächen. In dem, was zwischen dem ganzen Chaos passiert. Du triffst Figuren, die mehr Ecken haben als ein rostiger Einkaufswagen, und fast jede von ihnen hat irgendwas zu sagen, das dich entweder zum Lachen bringt oder dir einen dicken Kloß in den Hals schiebt. Da ist der abgehalfterte Magier mit Beziehungstrauma, der durch Rückblenden und schmutzige Witze mehr Charaktertiefe bekommt als manch AAA-Protagonist.

Oder der Straßenprediger, der gleichzeitig Dealer, Poet und kompletter Wahnsinniger ist. Die Dialoge sind rotzig, oft vulgär, manchmal komplett sinnfrei, aber dann plötzlich wieder so ehrlich, dass du kurz innehältst. NetherWorld versucht gar nicht, cool zu sein. Es ist einfach ehrlich abgedreht. Und in dieser Ehrlichkeit liegt etwas, das hängen bleibt. Es geht viel um Verlust, um Exzesse, um das Gefühl, dass alles schon zu spät ist. Aber eben nicht auf dramatisch inszenierte Weise, sondern mit einem Zucken in der Stimme, mit einem schiefen Lachen. Genau das gibt dem Spiel Seele. Eine verdreckte, zynische, betäubte Seele. Aber immerhin eine echte.
Mehr Suff als Substanz – wo NetherWorld manchmal ins Leere säuft
So mutig, wild und anders NetherWorld auch ist, es gibt Momente, da versäuft es sich ein bisschen in der eigenen Idee. Gerade bei den Minispielen wird schnell klar, dass nicht alles davon gleich gut funktioniert. Einige davon fühlen sich wie kreative Gimmicks an, die gut in die Welt passen. Andere wirken dagegen wie Lückenfüller, die eher nerven als bereichern. Das Trinkspiel zum Beispiel ist beim ersten Mal unterhaltsam, beim vierten Mal nur noch Klickerei ohne echten Sinn. Auch die Steuerung wirkt stellenweise etwas zu weich und unpräzise, was vor allem bei den Bosskämpfen zum Problem werden kann.
Wenn du nicht genau erkennst, wo du hinzielen musst, oder wenn Explosionen und Partikeleffekte den ganzen Bildschirm dicht machen, dann rutscht das Spiel von absichtlich chaotisch zu einfach unspielbar. Dazu kommt, dass es nicht immer klar ist, was du als Nächstes tun sollst. Die Struktur ist offen, was gut zur Welt passt, aber manchmal läufst du einfach nur von einem schrägen Ort zum nächsten, in der Hoffnung, irgendwo wieder auf Story zu stoßen. Diese Orientierungslosigkeit kann frustrieren. Nicht oft, aber wenn sie kommt, dann bleibt sie. NetherWorld will kein bequemes Spiel sein. Aber manchmal wäre ein bisschen weniger Eigenwilligkeit und etwas mehr Spielkomfort nicht verkehrt gewesen.
Soundtrack zwischen Suff und Synth – Musik, die klebt wie billiger Rauch
Der Sound in NetherWorld ist genauso verdreht wie der Rest. Keine bombastischen Orchester oder epischen Chöre, sondern ein Mix aus düsteren Synthflächen, verzerrten Effekten und basslastigem Geknarze, das sich irgendwo zwischen Techno-Ruine und kaputtem Gameboy ansiedelt. Es ist keine Musik, die man später auf Spotify hört, aber sie funktioniert im Spiel erstaunlich gut.
Gerade weil sie sich oft zurückhält, dir Raum lässt für das, was auf dem Bildschirm passiert. Und wenn sie dann mal loslegt, dann mit Druck. In Bosskämpfen, bei Drogenvisionen oder in besonders schrägen Momenten schraubt der Sound die Atmosphäre nochmal ordentlich nach oben. Die Effekte selbst sind roh, manchmal fast schon übertrieben. Explosionen donnern wie platzende Lautsprecher, Treffer klingen nach nassen Fleischbrocken, und NPCs röcheln, stöhnen oder lachen dir direkt ins Hirn.

Die Sprachausgabe gibt’s nicht wirklich, alles läuft über Text, aber die Klangkulisse schafft es trotzdem, jeder Szene ein eigenes Gefühl zu geben. Mal eklig, mal melancholisch, manchmal einfach nur seltsam. Es passt alles irgendwie zusammen, auch wenn man manchmal das Gefühl hat, dass die Abmischung nicht ganz sauber ist. Aber wie so vieles in NetherWorld wirkt es dadurch sogar authentischer. Nicht glatt, nicht perfekt. Sondern so, als hätte jemand den Sound auf einem alten Tape-Deck aufgenommen, während im Hintergrund jemand gekotzt hat. Und genau deshalb bleibt er hängen.
Ein Trip, der nicht jedem schmeckt – aber denen, die bleiben, viel gibt
NetherWorld ist definitiv kein Spiel für die breite Masse. Es ist roh, dreckig, zynisch und voller Momente, die vielen Spielerinnen und Spielern schlicht zu viel sein werden. Aber gerade das macht es so einzigartig. Wer sich darauf einlässt, bekommt kein Hochglanzabenteuer mit klarer Moral und sauberem Ende, sondern einen bizarren, emotional verstörenden Trip durch eine Welt, in der alles kaputt ist. Auch du selbst. Und genau das macht die Reise so intensiv. Nicht jeder Moment sitzt, nicht jede Mechanik funktioniert perfekt, und einige Passagen ziehen sich mehr als nötig.

Doch das Spiel bleibt im Kopf. Nicht wegen seines Gameplays, sondern wegen seines Charakters. NetherWorld hat eine Identität. Eine starke, unangepasste, vielleicht sogar selbstzerstörerische Identität. Aber lieber das, als noch ein weiteres Spiel, das sich anfühlt wie hundert andere. Es ist ein kleiner, mutiger Titel, der seine Spieler respektiert, indem er ihnen nichts vorgaukelt. Keine Helden, keine Erlösung. Nur eine zähe, seltsame, manchmal wunderschöne Form von Wahrheit, die in Pixeln und Blut erzählt wird. Und wenn du einmal drin bist, lässt sie dich nicht mehr los.
Fazit – zwischen Absturz und Abgrund wartet echte Persönlichkeit
NetherWorld ist das Gegenteil von gefällig. Es schreit dich nicht an, es lädt dich auch nicht nett ein. Es liegt einfach da, dreckig, verkatert, halb bewusstlos, und wenn du dich dazulegst, erzählt es dir die ehrlichste, hässlichste Geschichte, die du seit Langem in einem Spiel gehört hast. Technisch ist es kein Meisterwerk. Aber atmosphärisch haut es rein.
Die Welt ist absurd und traurig zugleich, die Figuren wirken wie Karikaturen und sind doch oft näher am echten Leben als so mancher AAA-Protagonist. Du kämpfst, du trinkst, du scheiterst, du redest mit Wesen, bei denen du nicht weißt, ob du lachen oder heulen sollst. Und am Ende bleibt ein Spiel, das nicht jedem gefallen will, aber genau das zu seiner Stärke macht. Es ist ein Projekt mit Haltung. Und manchmal reicht das schon, um aus einem seltsamen kleinen Spiel ein echtes Erlebnis zu machen.