The Wandering Village ist ein Aufbauspiel der besonderen Sorte. Entwickelt vom Schweizer Studio Stray Fawn Studio und veröffentlicht am 17. Juli 2025 für PC, PlayStation 4 und 5, Xbox Series X und S sowie Nintendo Switch bringt es frischen Wind in ein Genre das sich oft in Zahlen und Effizienz ertränkt. Statt flächendeckend Wälder zu roden und Fabriken in den Boden zu stampfen baust du hier dein Dorf auf dem Rücken eines riesigen tierischen Wesens namens Onbu. Ja richtig gelesen. Du lebst auf dem Rücken eines freundlichen Kolosses und das ist nicht nur ein cooler Gimmick sondern ein echter Gameplay-Kern.
Publisher war ebenfalls Stray Fawn Studio die das Projekt mit einer klaren Vision und viel Herzblut begleitet haben. Und das merkt man dem Spiel an. Von Anfang an strahlt The Wandering Village eine gewisse Ruhe aus. Es ist kein hektisches Clickfest sondern eher wie ein gutes Buch auf der Veranda. Mitten in einer postapokalyptischen Welt wo toxische Sporen die Erde verseuchen entsteht hier etwas das nicht nur wächst sondern auch verbindet. Mensch und Tier arbeiten zusammen. Oder auch nicht. Denn du entscheidest ob du Onbu wie einen Partner behandelst oder wie ein Werkzeug. Und genau das macht das Spiel so besonders.
Onbu ist kein Bus – er hat Gefühle
Das Herzstück von The Wandering Village ist ohne Frage Onbu. Dieses gigantische Wesen ist mehr als nur ein wandelndes Fundament für deine Stadt. Es atmet, es schläft, es hat Hunger und – das ist entscheidend – es merkt sich wie du es behandelst. Das Spiel zwingt dich nicht dazu nett zu sein. Du kannst ihm Nahrung entziehen, Nadeln in die Haut bohren um Energie zu gewinnen oder ihn einfach ignorieren während du deine Gebäude platzierst wie ein rücksichtsloser Städteplaner. Aber dann wird er bockig. Und das ist nicht einfach ein moralischer Zeigefinger sondern eine echte Spielmechanik.

Wenn du ihm hilfst gesund zu bleiben zum Beispiel mit Kräutermedizin oder ausreichend Ruhezeiten dann vertraut er dir mehr. Er hört auf deine Richtungsanweisungen, er bleibt bei schlechtem Wetter stehen wenn du ihn darum bittest. Das ist mehr als nur eine nette Idee. Es ist ein Beziehungsaufbau der spielerisch funktioniert und emotional bindet. Irgendwann ertappst du dich dabei wie du beim Blick auf seine müden Augen seufzt und die Produktion stoppst nur damit er ein kleines Nickerchen machen kann. Onbu ist keine Maschine. Er ist dein Reisegefährte. Und vielleicht sogar ein bisschen dein Haustier. Ein riesiges haarloses knuffiges Haustier mit Rückenschmerzen.
Dorfmanagement mit Aussicht – und Verantwortung
Während Onbu gemütlich durch verschiedene Biome stapft liegt es an dir dein Dorf am Laufen zu halten. Klingt erstmal klassisch: Felder anlegen, Holz hacken, Wasser sammeln, Häuser bauen. Doch durch die ständig wechselnden Umgebungen wird jeder Handgriff zur strategischen Entscheidung. Im Dschungel wächst Nahrung schneller aber die Sporengefahr ist hoch. In der Wüste gibt es kaum Wasser dafür aber jede Menge Sonne für deine Windtrockner. Du musst ständig abwägen was dein Dorf gerade braucht und wie sehr du deine Ressourcen streckst. Dabei ist das Spiel gnädig. Es überfordert nicht mit tausend Menüs oder minütlichen Katastrophen sondern fordert ein ruhiges mitdenkendes Spielen.

Das bedeutet aber nicht dass es langweilig wäre. Wenn plötzlich Giftsporen den Rücken von Onbu überziehen und deine Dorfbewohner husten bis die Felder vertrocknen wirst du ganz schnell wach. Hier kommt die große Stärke von The Wandering Village ins Spiel. Es zwingt dich nie in starre Strategien sondern lässt dich kreativ und situativ reagieren. Deine Entscheidungen fühlen sich sinnvoll an und du siehst direkt was sie bewirken. Wenn du gut wirtschaftest wächst dein Dorf. Wenn du Onbu pflegst trägt er dich weiter. Und wenn du beides kombinierst entsteht ein Gefühl von echtem Miteinander. Das hat man selten in einem Aufbauspiel.
Zwischen Sporensturm und Kuschelfaktor – die Balance macht’s
The Wandering Village wirkt erstmal wie ein ganz normales Aufbauspiel. Man sammelt Holz, baut Felder, kümmert sich um seine Leute. Aber spätestens wenn du das erste Mal einen Sporensturm überstehst, merkst du dass das hier anders läuft. Die Welt da draußen ist kaputt. Die Luft ist vergiftet, das Wetter wechselt ständig und wenn du nicht mitdenkst stehst du schnell ohne Nahrung oder Wasser da. Trotzdem ist das Spiel kein Stressmacher. Es hat diesen seltsamen Mix aus Bedrohung und Gemütlichkeit. Du siehst wie dein Dorf überlebt, wie die Leute ihre Wege gehen, wie Onbu sich langsam durch neue Biome schleppt.

Und irgendwie wird das alles sehr ruhig. Selbst wenn es mal brenzlig wird hat man nie das Gefühl alles bricht zusammen. Es geht mehr ums Durchhalten. Um Entscheidungen die sich nicht sofort rächen. Das ist angenehm. Gerade für Leute die keine Lust auf Min-Maxing haben sondern lieber organisch bauen. Fehler passieren. Aber das Spiel haut dir nicht sofort auf die Finger. Es lässt dich lernen. Und das fühlt sich ziemlich fair an.
Kein SimCity auf Drogen und genau das ist gut so
Was The Wandering Village richtig macht ist, dass es dich nicht mit Systemen erschlägt. Du hast keine zehn Skilltrees mit fünfzig Upgrades und auch keine hundert Spezialisierungen die du irgendwie optimieren musst. Alles ist da, wo du es brauchst. Du brauchst Nahrung? Bau Felder. Du brauchst Wasser? Sammel’s aus der Luft oder bau ein Pumpensystem. Klar, das klingt simpel, aber genau das ist der Punkt. Das Spiel gibt dir Werkzeuge, keine Excel-Tabelle. Und trotzdem hast du Tiefe. Die Art wie du deine Gebäude anordnest, wann du was priorisierst, ob du dein Volk in sichere Zonen schickst oder das Risiko eingehst um Ressourcen zu sichern, das alles hat spürbare Auswirkungen.

Aber eben ohne dass du vorher drei YouTube-Guides schauen musst. Gerade wenn man aus komplexeren City Buildern kommt, fühlt sich das fast entschleunigend an. Und wenn du neu im Genre bist, wirst du nicht gleich vom Interface gefressen. Ich hatte nie das Gefühl, dass mich das Spiel austrickst oder irgendwo reinquatscht. Es ist eher wie ein gut gelaunter Mitspieler, der dir sagt: Mach einfach, du kriegst das schon hin.
Beziehungspflege statt Bulldozer-Mentalität
Was The Wandering Village von anderen Aufbauspielen unterscheidet ist nicht nur die Tatsache dass du auf dem Rücken eines riesigen Wesens baust. Es ist die Art wie du mit dieser Kreatur interagierst. Onbu ist kein lebendes Verkehrsmittel das du einfach ausnutzt um von A nach B zu kommen. Er ist dein Partner. Und je nachdem wie du mit ihm umgehst verändert sich auch eure Beziehung. Wenn du ihn quälst weil du unbedingt Energie brauchst merkst du ziemlich schnell dass das Konsequenzen hat. Vielleicht hört er irgendwann nicht mehr auf deine Befehle. Vielleicht verweigert er die Richtung in die du willst.


Vielleicht legt er sich einfach schlafen obwohl du mitten in einem gefährlichen Biom stehst. Aber wenn du dich um ihn kümmerst dann wird er dir vertrauen. Und das fühlt sich wirklich besonders an. Es ist ein stilles Zusammenspiel zwischen Mensch und Kreatur das sich nicht auf Zahlen oder Fortschrittsbalken verlässt sondern auf Verhalten. Und genau deshalb funktioniert es. Weil es dich emotional bindet ohne dich mit dramatischer Musik oder Zwischensequenzen zu überreden. Du kümmerst dich weil du willst nicht weil du musst. Und das ist verdammt selten in diesem Genre.
Keine Story zum Mitfiebern, aber ein Weg den man geht
Wer bei The Wandering Village auf eine große epische Geschichte hofft, wird wahrscheinlich enttäuscht. Es gibt eine Rahmenhandlung, klar. Die Welt ist vergiftet, die Menschheit am Rand des Untergangs und du führst die letzten Überlebenden durchs Chaos. Aber so richtig erzählt wird das nicht. Es gibt keine Cutscenes, keine Dialoge, keine Wendungen wie in einem Rollenspiel. Stattdessen erzählst du dir die Geschichte selbst. Durch das was in deinem Dorf passiert. Durch die Entscheidungen die du triffst.


Und durch das Verhalten von Onbu. Das funktioniert erstaunlich gut, aber eben eher subtil. Manche würden sagen es fehlt an Dramaturgie. Ich sage es ist eher wie ein Reisetagebuch. Du erlebst Momente. Du baust Verbindungen auf. Du entwickelst dein Dorf nicht weil dir irgendein NPC das befiehlt sondern weil es sich richtig anfühlt. Das ist nicht jedermanns Sache. Aber für mich war das genau der richtige Ton. Kein übertriebenes Drama. Keine Weltrettung im Minutentakt. Einfach nur ein kleiner Haufen Leute auf einem großen Tier. Und das reicht manchmal völlig.
So hübsch kann Endzeit sein
Optisch ist The Wandering Village ein echter Ruhepol. Statt grauer Betonburgen oder überladener Sci-Fi-Städte bekommst du hier weiche Farben, handgezeichnete Gebäude und eine Kreatur die aussieht wie das friedlichste Wesen seit Totoro. Alles bewegt sich langsam, fast träumerisch. Selbst wenn ein Giftsturm über dein Dorf zieht hat das Spiel etwas Beruhigendes. Klar, du musst reagieren, aber nie in Hektik. Die Grafik trägt einen großen Teil dazu bei.

Die Welt wirkt lebendig, aber nicht aufdringlich. Du siehst wie deine Leute arbeiten, wie Onbu atmet, wie Pflanzen wachsen oder verdorren. Es ist kein technisches Feuerwerk, aber es passt perfekt zur Stimmung. Kein Glitzer, kein Bombast. Einfach stimmige, liebevoll gestaltete Kulissen auf einem wandernden Wesen. Und manchmal bleibe ich einfach stehen, zoome raus und schaue wie Onbu langsam durch ein neues Biom läuft. Ohne Grund. Einfach weil es schön ist. Das schaffen nicht viele Spiele.
Soundtrack zum Durchatmen
Der Soundtrack in The Wandering Village ist genau das was er sein soll. Er hält einfach die Klappe wenn es sein muss und ist da wenn du ihn brauchst. Kein bombastisches Orchester das dir erklärt wie du dich fühlen sollst. Stattdessen ruhige Melodien die sich irgendwie richtig anfühlen wenn du gerade versuchst dein Dorf halbwegs am Leben zu halten. Manchmal hörst du nur ein paar sanfte Töne die im Hintergrund wabern. Manchmal ein bisschen melancholisches Geklimper.


Aber nie so dass es dir auf die Nerven geht. Und das ist selten. Ich hab mich dabei erwischt wie ich stundenlang gespielt habe ohne den Drang das Spiel stummzuschalten. Auch die Geräusche von Onbu passen. Wenn er sich hinlegt, wenn er tief durchatmet oder einfach weiterläuft – das klingt nicht künstlich oder aufgesetzt. Es ist halt einfach da. Nicht weil es showen will. Sondern weil es dazugehört. Und das passt ziemlich gut zum ganzen Spiel.
Fazit – Ein Dorf auf einem Monster und trotzdem irgendwie heimelig
The Wandering Village hat mich ehrlich überrascht. Ich dachte erst es wäre wieder so ein typischer City Builder bei dem man nach zwei Stunden von Menüs erschlagen wird und irgendwann einfach aufgibt weil alles zu viel wird. Aber genau das ist hier nicht der Fall. Das Spiel nimmt dich mit. Nicht an die Hand aber auf den Rücken eines riesigen Wesens das dich durch eine kaputte Welt trägt. Und genau dieses Zusammenspiel aus Dorfmanagement und Kreaturpflege macht den Reiz aus. Es ist angenehm ruhig aber trotzdem nicht langweilig. Du hast genug zu tun aber wirst nicht gestresst.
Deine Entscheidungen haben Gewicht aber du hast nie das Gefühl dass dir das Spiel mit erhobenem Zeigefinger reinfunkt. Klar es gibt auch Dinge die besser sein könnten. Die Story bleibt eher im Hintergrund und wer ultra komplexe Aufbauspiele mag wird hier vielleicht nicht genug gefordert. Aber für mich war das genau richtig. Ich hab ein Spiel bekommen das mich entspannt aber trotzdem fordert. Das mir zeigt dass man auch ohne Hektik Spannung erzeugen kann. Und das vor allem eines vermittelt: Dass man sich um Dinge kümmern sollte. Um sein Dorf. Um seine Leute. Und manchmal auch einfach um ein riesiges Monster das dich durch die Welt trägt. Klingt komisch ist aber schön.